Exemplarisch für das Motiv des carpe diem im Barock ist ein Gedicht von Martin Opitz von 1624:
Carpe diem
Ich empfinde fast ein Grauen,
dass ich, Plato, für und für
bin gesessen über dir. Es ist Zeit hinauszuschauen
und sich bei den frischen Quellen
in dem Grünen zu ergehn,
wo die schönen Blumen stehn
und die Fischer Netze stellen! Wozu dient das Studieren
als zu lauter Ungemach! ARNIM: UEBERDRUß DER GELAHRTHEIT. Unterdessen läuft die Bach
unsers Lebens, das wir führen,
ehe wir es inne werden,
auf unser letztes Ende hin:
dann kömmt ohne Geist und Sinn
alles in die Erden. Holla, Junger, geh und frage,
wo der beste Trunk mag sein,
nimm den Krug und fülle Wein! Alles Trauern, Leid und Klage,
wie wir Menschen täglich haben,
eh uns Clotho* fortgerafft,
will ich in den süßen Saft,
den die Traube gibt, vergraben. Kaufe gleichfalls auch Melonen
und vergiss des Zuckers nicht,
schaue nur, dass nichts gebricht! Jener mag der Heller schonen,
der bei seinem Gold und Schätzen
tolle sich zu kränken pflegt
und nicht satt zu Bette legt;
ich will, weil ich kann mich letzten!
- Ich empfinde fast ein grauen al
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- Ich empfinde fast ein grauen martin opitz
Ich Empfinde Fast Ein Grauen Al
Martin Opitz - Ich empfinde fast ein Grauen...
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Martin Opitz
Ich empfinde fast ein Grauen...
Ich empfinde fast ein Grauen
Daß ich, Plato, für und für
Bin gesessen über dir;
Es ist Zeit hinauß zu schauen
Und sich bey den frischen Quellen
In dem Grünen zu ergehn,
Wo die schönen Blumen stehn
Und die Fischer Netze stellen. Worzu dienet das Studieren
Als zu lauter Ungemach? Unter dessen laufft die Bach
Unsers Lebens, das wir führen,
Ehe wir es inne werden,
Auff ihr letztes Ende hin,
Dann kömpt ohne Geist und Sinn
Dieses alles in die Erden. Ich empfinde fast ein grauen die. Hola, Junger, geh' und frage
Wo der beste Trunck mag seyn,
Nimb den Krug und fülle Wein. Alles Trauren, Leid und Klage
Wie wir Menschen täglich haben,
Eh' uns Clotho fort gerafft,
Will ich in den süssen Safft,
Den die Traube gibt, vergraben. Kauffe gleichfals auch Melonen. Und vergieß deß Zuckers nicht;
Schaue nur, daß nichts gebricht. Jener mag der Heller schonen,
Der bey seinem Gold' und Schätzen
Tolle sich zu krencken pflegt
Und nicht satt zu Bette legt;
Ich wil, weil ich kan, mich letzen.
Ich Empfinde Fast Ein Grauen Die
Carpe diem (zu deutsch: "nutze/pflücke den Tag") ist eine lateinische Redewendung, die aus einer Ode des römischen Dichters Horaz (* 65 v. Chr. ; † 8 v. ) stammt. Barock []
Der Begriff wurde ein Schlüsselzitat im Barock. Carpe diem - Deutsche Lyrik. Durch die Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges geprägt, bildete sich im 17. Jahrhundert ein starkes Vergänglichkeitsgefühl (Vanitas, Alles ist eitel oder Memento mori, Bedenke, dass du sterben musst). Aus der so empfundenen Sinnlosigkeit allen Tuns bildete sich im Gegensatz dazu das Gefühl, das Hier und Jetzt nutzen zu müssen und Vergnügungen zuzulassen: das carpe diem ("Denke nicht an die Ewigkeit (das ist eitel), sondern nutze die Zeit, die dir bleibt, für dein Vergnügen! ") Die Verspieltheit und Sinnlichkeit der Kunstepoche Barock wird zentral auf dieses Motiv zurückgeführt. Der Begriff war auch in der englischen Literatur sehr verbreitet, z. B. in Robert Herrick To the Virgins, to Make Much of Time – hier, um die jungen Damen daran zu erinnern, wie vergänglich ihre Schönheit ist.
Ich Empfinde Fast Ein Grauen Metrum
Zwar kann man in der jetzigen Zeit nicht unbedingt sorglos und verschwenderisch leben, aber dennoch ist dieses Barockgedicht von Opitz ein sehr guter Denkanstoß für die heutige Gesellschaft. Beiträge zu dem selben Werk
Martin Opitz - Carpe diem (Interpretation #384)
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Ich Empfinde Fast Ein Grauen Martin Opitz
Anmerkungen
Übergeschriebene Buchstaben werden als moderne Umlaute wiedergegeben. ↑ Klotho (lat. Nona): eine der Moiren (Schicksalsgöttinnen), die jedem sein Geschick zuteilen
Mit dem Vers "lass ich gleich nicht viel zu erben" (vgl. V37) zeigt das lyrische Ich, dass es ihm nicht darum geht, einen großen Reichtum oder ein großes Erbe aufzubauen, sonder mit dem, was er hat, sein Leben zu gestalten. Dieses angesprochene Verhalten unterstützt auch das Motiv der Vergänglichkeit. Wozu sparen, wenn es den morgigen Tag vielleicht nicht mehr geben wird? Das lyrische Ich geht lieber "satt zu Bette" (vgl. V31) als sich das Geld für schlechte Zeiten aufzuheben. In der letzten Strophe wird oft das Adjektiv "gut" (vgl. Ich empfinde fast ein grauen metrum. V33, 36) benutzt, um die Dinge dar zustellen, welche das lyrische Ich als schön empfindet. Gerade in dieser Strophe wird deutlich, dass das lyrische Ich Freude an Musik und Wein hat, demnach Freude an irdischem Genuss. "[E]i, so hab ich edlen Wein! " (vgl. V 38), diese Emphase drückt die Lebensfreude aus und die Freude was man im Hier und Jetzt hat und macht. Nach dieser Freude in der letzten Strophe, endet sie mit der wiederkehrenden Ahnung auf den Tod. "Will mit andern lustig sein, muss ich gleich alleine sterben" (vgl. V 39f.