Ganz im Gegenteil: Die Art, wie Lemaitre die Lage vor allem der beiden Soldaten so zuspitzt, dass der Leser ihre sich allmählich entwickelnde kriminelle Energie - denn auch sie vergehen sich an der Opferbereitschaft ihrer Landsleute durch einen großangelegten Betrug - nicht als Sünde, sondern als notwendiges Übel begreift, ist in bestem Sinne unterhaltsam. Denn in dieser Art, aber auch in den immer wieder beiläufig gelegten Fährten, den charakterlich zuweilen etwas zu klar voneinander abgegrenzten Figuren sowie in der sich beschleunigenden Verdichtung des Geschehens, das auf ein nur zwanzig Seiten umfassendes Finale hinausläuft, erkennt man die Handschrift des Krimiautors, der Lemaitre vor diesem Roman war. Tatsächlich ist "Wir sehen uns dort oben" eine klug komponierte Mischung aus Abenteuer- und historischem Roman. Von anderer Weltkriegsliteratur unterscheidet er sich außerdem durch seinen Ton, der so heiter ist, dass er dem Thema die Schwere nimmt, ohne es der Lächerlichkeit preiszugeben.
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Derweil glaubte Albert schon, »das Licht geht aus«, doch dann haucht ihm ein totes Pferd im Schlamm ganz unerwartet seinen Odem ein, bis Édouard ihn aus seinem vorzeitigen Grab befreit. Unglücklicherweise trifft den Retter beim Ausbuddeln ein Granatsplitter und reißt ihm die untere Gesichtshälfte davon. Mit dieser makaber-zynischen Szene endet der Erste Weltkrieg in Pierre Lemaitres Roman »Wir sehen uns dort oben«. Aber die Party fängt jetzt erst richtig an; in der Nachkriegszeit entspinnt sich eine rabenschwarze Komödie von skrupellosen Geschäftemachern in einer reichlich korrumpierten Gesellschaft. Alle streben nach oben, wollen ihre gesellschaftliche Stellung verbessern, und das mit maximalem Profit. Dazu wird auf Teufel-komm-raus bestochen, betrogen, gelogen, nach unten getreten und ausgebeutet. Im Privaten gönnt man sich, ob Mann oder Frau, jegliche Sinnesfreude, geht hemmungslos fremd. Nur zwei Menschen halten das Fähnchen aufrichtiger Menschlichkeit hoch: ein nettes kleines Mädchen namens Louise und ein Ministerialbeamter vor der Pensionierung, ein »Bürokrat auf der untersten Stufe, ohne Karriere, ohne Zukunft«, ungelitten in seiner Behörde.
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Der große Roman über die Nachkriegszeit in Frankreich
In "Wir sehen uns dort oben" erzählt Pierre Lemaitre die tragische Geschichte von zwei Kriegsheimkehrern, Albert Maillard und Édouard Péricourt, die mit viel Witz und sympathischem Ehrgeiz versuchen, ihr Leben zu machen. Dass sie dabei allzu schnell vom rechten Weg abweichen, lässt sich leicht nachvollziehen. Zugleich entwirft Lemaitre in seinem Roman ein Gesellschaftsporträt der französischen Nachkriegszeit, in der zwar unablässig von Ehre, Ruhm und Vaterland die Rede ist, die Menschlichkeit aber auf der Strecke zu bleiben droht. »Wir sehen uns dort oben« ist so facettenreich wie eine Familiensaga und packend wie ein Thriller. Verdientermaßen wurde der Roman deshalb mit dem bedeutendsten Literaturpreis Frankreichs, dem Prix Goncourt, ausgezeichnet. Markus Hoffmann als Sprecher der ungekürzten Hörbuchlesung
Markus Hoffmann ist mit seiner warmen Erzählerstimme als Hörbuchsprecher vieler namhafter Autoren wie Oscar Wilde, Khaled Hosseini ("Der Drachenläufer") und Rafik Schami bekannt.
Fortan fühlt sich Albert seinem neuen Freund verpflichtet und besorgt ihm, weil Edouard sich mit entstelltem Gesicht nicht unter die Augen seines herrischen Vaters traut, eine neue Identität. Zurück in Paris, versorgt er ihn außerdem mit Morphium, von dem Edouard abhängig geworden ist. Bald fehlt den beiden das Geld an allen Ecken und Enden. Arbeit findet Albert nur als Plakatträger auf den Pariser Boulevards. Was sich bei der vorangegangenen Demobilisierung, die chaotisch verlaufen war, schon angedeutet hatte, bestätigt sich somit nur wenig später auf ebenso banale wie brutale Weise: Das Verantwortungsbewusstsein Frankreichs gegenüber seinen Soldaten erlischt, kaum dass die Tinte unter dem Friedensvertrag getrocknet ist. Pierre Lemaitre, der für "Wir sehen uns dort oben" im vergangenen Jahr in Frankreich mit dem renommierten Prix Goncourt ausgezeichnet worden ist, hat immer wieder darauf hingewiesen, dass er in dieser Unzuverlässigkeit der staatlichen Fürsorge ein strukturelles Problem erkenne, unter dem Frankreich auch heute noch leide.